Vom Mythos der Schwere: Neues aus der Trauerforschung

Viele Menschen glauben daran, dass Trauer immer in festen Phasen verläuft und zudem stets intensiv und schwer sein muss. Vergessen Sie diese Theorie. Trauer lässt sich in kein Schema pressen und schon gar nicht in einen Zeitplan – jeder Mensch erlebt das Abschiednehmen auf individuelle Weise.

Die Menschen, besonders jedoch Wissenschaftler, lieben klare Strukturen. Entsprechend hat man versucht, auch die Trauer nach dem Tod eines geliebten Menschen in bestimmte Phasen zu fassen. Es gibt viele wissenschaftliche Modelle, die sich alle mehr oder weniger ähneln: Erst kommt die Zeit des Nicht-wahrhaben-Wollens. Dann die Phase heftiger Emotionen, die wiederum abgelöst wird von Phasen des Suchens und Sich-Trennens. Aber irgendwann können wir den Tod des geliebten Menschen akzeptieren und unser Leben neu in Angriff nehmen, so die Theorie, etwa der Schweizer Psychotherapeutin Verena Kast.

Besonders populär ist außerdem das Modell der Ärztin Elisabeth Kübler-Ross, die ebenfalls fünf Phasen des Trauerns herausgearbeitet hat. Das Gute an solchen Phasenmodellen: Sie sind anschaulich. Dennoch sind sie kaum mehr als ein theoretisches Konstrukt.

Zwischen Verlust und Weiterleben

Vor etwa 30 Jahren begannen Wissenschaftler, die herrschenden Theorien über Trauer mit empirischen Studien zu hinterfragen. Auch die Phasenmodelle kamen in die Kritik: Sie setzen Menschen unter Druck, die ihre Trauer anders erleben, so der Vorwurf. Im Jahr 1999 veröffentlichten die Psychologen Margaret Stroebe und Henk Schut von der Universität Utrecht ein neues Modell. Das sogenannte Duale Prozess-Modell der Trauerbewältigung. Die zentrale These der Forscher: Trauernde bewegen sich ständig zwischen zwei Polen. Zwischen Tod und Verlust einerseits und der Gegenwart und Zukunft andererseits.

„Das Modell beschreibt nicht Phasen, sondern das Oszillieren zwischen zwei Aufgaben. Zum einen geht es um die Auseinandersetzung mit dem Verlust, zum anderen um sogenannte wiederherstellungsorientierte Aufgaben. Zu verschiedenen Zeiten überwiegt das eine oder das andere, die beiden Bereiche können aber auch direkt nebeneinander existieren“, erklärt die Psychologin Rita Rosner. Trauernde leiden unter dem Verlust, leben in Erinnerungen an den Toten, beschäftigen sich mit den Umständen des Todes. Doch sie müssen trotzdem weiterhin ihren Alltag bestreiten. Zum Beispiel mit finanziellen Problemen und Einsamkeit zurechtkommen, Freundschaften aufrechterhalten, eine neue Wohnung und einen neuen Tagesablauf finden.

Trauer als universelles Gefühl

Noch einen anderen verbreiteten Mythos konnte die systematische Trauerforschung inzwischen widerlegen: dass Trauer intensiv und schwer sein müsse. Tatsächlich trauern Menschen ganz unterschiedlich intensiv. Dabei spielt unter anderem die Verfassung des gesellschaftlichen Umfeldes eine Rolle, das Verhältnis zum Verstorbenen und die eigene Persönlichkeit. Neueste Studien konnten zudem aufzeigen, dass Menschen mit Verlusten viel besser umgehen können, als lange Zeit angenommen wurde. Zwar zeigte es sich, dass die allermeisten in den ersten Wochen und Monaten nach einem Verlust unter depressiven Zuständen leiden. Der Großteil aber erholt sich erstaunlich schnell, bereits nach wenigen Monaten.Trauer und die damit verbundenen Gefühle kommen wie Wellen, deren Intensität mit der Zeit langsam abnimmt. Trauernde, so legen es die Forschungsergebnisse nahe, pendeln ständig zwischen positiven Gefühlen und Schmerz hin und her. Und sie finden gerade dadurch Trost und Hoffnung.

Gastbeitrag des Online-Magazins „Prinzip Apfelbaum. Magazin über das, was bleibt“ auf der Grundlage des darin erschienenen Artikels „Ein Pendeln zwischen Trost und Schmerz“ von Angelika S. Friedl. Alle Artikel und Ausgaben des Magazins können Sie kostenlos lesen unter: www.das-prinzip-apfelbaum.de

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